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Herzlichen Glückwunsch, Alice Schwarzer!

Sie ist das Gesicht der deutschen Frauenbewegung: Alice Schwarzer. Am 3. Dezember feierte die Journalistin und Herausgeberin der feministischen Zeitschrift EMMA ihren 75. Geburtstag.

Als Kind hat Alice mit Puppen wenig am Hut. Sie spielt lieber „Räuber und Gendarm“. Geboren 1942 in Wuppertal, wächst sie bei ihrem „sehr mütterlichen Großvater“ und ihrer Großmutter, die sie politisch und intellektuell prägt, auf. Ihre Mutter, sagt sie, war für sie eher wie eine ältere Schwester. In der Frauenwelt der sechziger Jahre muss sie sich zunächst zurechtfinden. Sie macht eine kaufmännische Ausbildung, bricht diese aber ab und geht mit dem Credo „Ich will alles“ nach Paris. Dort verbringt sie die Nächte in Jazzkellern und trampt per Anhalter nach Saint Tropez, wie sie in ihrer Autobiografie „Lebenslauf“ erzählt. Bald schreibt sie erste Artikel aus der Ferne für die Heimat und studiert Psychologie und Soziologie bei Michel Foucault. Es sind prägende und vorbereitende Jahre für ihren weiteren Weg. Noch gibt es keine unabhängige Frauenbewegung. Alice Schwarzer will das ändern und sucht nach Gleichgesinnten. „Wir sind keine Organisation, wir sind ein Phänomen“, sagt eine von denen, die ihren Weg begleiten.

Initialzündung der deutschen Frauenbewegung
1971 hört die deutsche Öffentlichkeit zum ersten Mal von Alice Schwarzer. Sie lebt damals in Frankreich, wo sie als freie Korrespondentin arbeitet und in der Pariser Frauenbewegung aktiv ist. Nach französischem Vorbild startet die damals 28-Jährige die Kampagne „Frauen gegen § 218“ für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Sie gewinnt die Zeitschrift Stern für die gewagte Aktion und lässt 374 zum Teil prominente Frauen wie Romy Schneider und Senta Berger bekennen: „Ich habe abgetrieben – und fordere das Recht dazu für alle Frauen“; darunter sind auch einige, die es nie getan haben wie Alice Schwarzer. Es geht ums Prinzip. Aus den 374 werden bald tausende, die fordern: Der § 218 muss weg! Die Aktion wird zum Auslöser der Frauenbewegung. Überall im Land bilden sich die sogenannten „218-Gruppen“. Acht Monate später, am 11. März 1972, treffen sich 450 Frauen aus 40 westdeutschen und West-Berliner Frauengruppen in Frankfurt zum ersten „Bundesfrauenkongress“. Und einen Tag später erklären die Sprecherinnen: „Frauen müssen sich selbst organisieren, weil sie ihre ureigensten Probleme erkennen und lernen müssen, ihre Interessen zu vertreten. (…) Wir schließen Männer aus unseren Gruppen aus, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass sich Bevormundung und Unterdrückung, die wir in allen Lebensbereichen erfahren, in gemischten Gruppen reproduzieren. (…) Frauen müssen zu einem Machtfaktor innerhalb der anstehenden Auseinandersetzungen werden.“ Damit war die „Gründung“ der deutschen Frauenbewegung offiziell verkündet.

„Die Bundesrepublik stand Kopf. Denn trotz der Liberalisierungs-Debatte ab 1969 war das Thema Abtreibung noch immer ein totales Tabu. Eine Frau, die abtrieb, tat das meist in totaler Einsamkeit. Sie redete in der Regel weder mit der besten Freundin noch der eigenen Mutter, ja oft noch nicht einmal mit dem eigenen Mann darüber. Eine Frau, die abtrieb, hatte entweder das Geld für die Schweiz – oder sie riskierte ihre Würde und so manches Mal auch ihr Leben bei illegal abtreibenden Ärzten und auf dem Küchentisch von Engelmacherinnen“, so Alice Schwarzer.

Dass sie dann nur wenige Monate später, im Herbst 1971, dennoch ihr erstes Buch über die „Frauen gegen den § 218“ veröffentlicht, liegt daran, dass die deutsche Debatte über den § 218 aus Schwarzers Sicht „sehr schnell sehr schief lief“. „Denn da war plötzlich nur noch von der ‚Seele des Fötus‘ die Rede, von den ‚bevölkerungspolitischen Aspekten‘ und dem ‚zu schützenden Rechtsgut‘. Nicht aber von der Würde und Selbstbestimmung der Frau. Und wir engagierten Journalistinnen – und damals waren wir viele! – hatten nun quasi Schreibverbot. Wir galten als Frauen als ‚viel zu befangen‘.“

Anfang 1975 hat Alice Schwarzer bereits zwei Bücher sowie etliche Artikel verfasst und sich mit der Stern-Kampagne einen Namen gemacht. Sie war aber noch keine Person der Öffentlichkeit. Das sollte sich jedoch am 6. Februar 1975 mit einem Schlag ändern. An diesem Tag wird im WDR-Fernsehen das Streitgespräch zwischen ihr und Esther Vilar ausgestrahlt. In dem Buch „Der dressierte Mann“ verkündete Vilar: Frauen sind dumm, sie beuten die Männer schamlos aus und machen sich auf deren Kosten ein bequemes Leben. Das war ganz nach dem Geschmack vieler Männer, die sich über die radikalen Forderungen der Feministinnen ärgerten. Das Zusammentreffen der beiden Frauen hat durchaus provokatives Potenzial und löst eine kleine Geschlechter-Debatte aus: „Die Frauen sind für Alice – die Männer für Esther“, schreibt die Fernsehzeitschrift HörZu. „Spätestens seit der Vilar-Sendung war ich die populäre Verkörperung der Frauensache und ein rotes Tuch in Kollegenkreisen“, schreibt Alice Schwarzer 1985.

Im Herbst 1975 erscheint ihr drittes Werk „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“. Das Buch besteht aus 15 Protokollen, es handelt von 15 Frauenleben in Deutschland, von häuslicher Gewalt und sexueller Unterdrückung. Erstmals wurden Dinge ausgesprochen, über die bisher Stillschweigen geherrscht hatte.

Im Rahmen der ersten „PorNO“-Kampagne geht Alice Schwarzer im Sommer 1978 gegen den Stern und dessen Chefredakteur Henri Nannen wegen entwürdigender Frauendarstellung vor. Der Grund: ein reißerisches, sexistisches, frauenerniedrigendes Titelbild, auf dem die Sängerin Grace Jones in Ketten dargestellt wird. Die Unterlassungsklage verfasst Alice Schwarzer zusammen mit der Schauspielerin Inge Meysel, der Psychologin Margarete Mitscherlich-Nielsen und acht weiteren prominenten Frauen. Die Klägerinnen argumentieren, die Pornografie schaffe „ein Frauenbild, das Frauen zu Menschen zweiter Klasse degradiert“. Pornografie bedrohe dadurch „die elementaren Menschenrechte von Frauen: das Recht auf Würde oder Freiheit, auf körperliche Unversehrtheit oder Leben“. Die Frauen verlieren den Prozess. Die Richter sprechen zwar von einem „berechtigten Anliegen“, nach geltendem Recht sei das Blatt aber nicht zu verurteilen. Die Frauen sollten sich an den Gesetzgeber wenden. Die Feministinnen machen sich jedoch lieber selbst ans Werk.

EMMA wird zum Sprachrohr
Es bewegt sich etwas. Nach dem spektakulären TV-Streitgespräch mit Esther Vilar und dem Erscheinen vom „Kleinen Unterschied“ steht Schwarzers Name für die Sache der Frauen. Mit Spannung wird EMMA erwartet. Als die erste Ausgabe am 26. Januar 1977 erscheint, unterscheidet sie sich von alternativen Blättern aus der Frauenbewegung. EMMA ist nicht nur ein Blatt für die Frauenbewegung, sondern eine Zeitschrift für alle Frauen. Sie startet mit einer Auflage von 200.000 Stück, die innerhalb weniger Tage vergriffen ist. 100.000 Exemplare werden nachgedruckt. Zum Erstaunen der Medien verschwindet die Zeitschrift nach dem Anfangshype nicht in der Versenkung. Ganz im Gegenteil: EMMA wird zu einem Synonym für Frauenrechte und Emanzipation in Deutschland. Alice Schwarzer ist Chefredakteurin, Herausgeberin und Verlegerin. EMMA – sie nannte sie einmal ihr „Kind“ – wird auch zu ihrem Sprachrohr. „EMMA sei oft ihrer Zeit weit voraus gewesen – habe schon lange vor anderen Medien etwa auf die „Gefahr des politisierten Islam“ hingewiesen, sagt Schwarzer. „Emma bleibt den feministischen Kerngedanken treu: der Utopie einer Gleichheit der Geschlechter und der Menschenrechte für alle Frauen der Welt, unabhängig von Hautfarbe, Ethnie oder Religion.“

Alice Schwarzer veröffentlichte bisher insgesamt 21 Bücher als Autorin und 22 Bücher als Herausgeberin, darunter Biografien zu Romy Schneider und Marion Gräfin Dönhoff. Ihre Gespräche mit Simone de Beauvoir in den Jahren 1971 – 1983 erschienen als Buch in mehreren Sprachen. In ihrem Werk „Die große Verschleierung“ (2010) spricht sie sich „für Integration“ und „gegen Islamismus“ aus. Nach der Kölner Silvesternacht prangerte sie Gleichberechtigungsdefizite in der fundamental-islamischen Gemeinschaft an. Aktuell steckt die Autorin im Endspurt für ihren neuen Titel „Meine algerische Familie“, der im Februar erscheinen soll. Worum geht es? „Algerien ist das Schlüsselland des Maghreb. Sollte dieses Land in einen religiösen Fanatismus oder ins Chaos gleiten, kippt ganz Nordafrika. Was das für Europa bedeuten würde, wissen wir inzwischen“, erzählt Schwarzer. Algerien könne „sehr bald auch für Deutschland und ganz Europa von existenzieller Bedeutung sein“.

Foto: aliceschwarzer.de

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